Bedarfsgewichteter Käse
30. Juni 2008 05:45
“Das schwarze Schaf” und “Er kann’s nicht lassen” waren Filme in denen der Schauspieler Heinz Rühmann die Rolle des “Pater Brown” spielte, der neben seiner Tätigkeit als Geistlicher auch noch einen unverbesserlichen Drang zur Aufklärung von Straftaten hatte.
“Scharfsinn, Humor und verschmitztes Verstehen in einer originellen Verbindung” bescheinigten ihm damals die Kritiker.
Exakt diese Eigenschaften kann man einem anderen Aufklärer nicht zukommen lassen, auch wenn man bei seiner Predigten den Eindruck hat im Kino zu sitzen. Auch dieses schwarze Schaf kann es nicht lassen und zeigt bei seinen wortstarken und sinnentleerten Sonntagsschriften einen unverbesserlichen Hang zur geistigen Verklärung seiner unseligen Tätigkeit. Nun kann man nicht behaupten, dass er diesem Drang ohne Sinn und Verstand nachgeht, denn ab und an gelingt es ihm tatsächlich die Wertigkeit seiner Mission zur staatlich finanzierten Volksverarschung treffend mit Worten “bedarfsgewichteter Käse” zu beschreiben.
Die Rede ist von HansMinusWerner Sinn, dem unermüdlichen Prediger wider den gesunden Menschenverstand, dem schon seit vielen Jahren kein Trick zu billig, kein Argument zu fadenscheinig und keine Formulierung zu windig ist, um sich und die Interessen seiner Auftraggeber meinungsbildend unters tumbe Volk zu bringen.
Diesmal hat sich HansMinusWerner Sinn in der für ihn typischen Art der Weismachung zum Armutsbericht der Bundesregierung geäußert und wie üblich die Lage pseudowissenschaftlich “zurecht” gerechnet.
So hat nach HansMinusWerner Sinn “ein Niedriglöhner, der 2005 für nur vier Euro die Stunde Vollzeit arbeitete, bei normalen Wohn- und Heizkosten ein Nettoeinkommen von etwa 910 Euro!“.
Ein bisschen Kopfrechnen oder, wenn das hinter der hohen Stirn auch nicht mehr so richtig klappt, ein einfacher Taschenrechner hätte genügt um zu dem Ergebnis zu kommen, dass der Vollzeit arbeitende Niedriglöhner am Monatsende ca. 640 Euro BRUTTO auf dem Lohnzettel stehen hat.
Staatliche Aufstockung über HARTZ IV, den Klebstoff für die bedürftigen Bedarfsgemeinschaften der Nation, bekommt er selbstverständlich nur, wenn er selbst kein nennenswertes Vermögen mehr besitzt, also auf gut Deutsch eine “arme Sau” ist, die vom eigenen Einkommen nicht mehr leben kann.
Laut HansMinusWerner Sinn ist es auch völliger Unsinn, dass jeder “achte Deutsche arm ist” dennoch gebe es “Indikatoren, die auf mehr Ungleichheit hindeuten. So hat sich der Anteil der Bruttolöhne am Volkseinkommen verringert. Die Spreizung der Bruttolöhne hat wie in anderen Industriestaaten zugenommen, wenngleich sie hier noch lange nicht so groß ist wie in angelsächsischen Ländern und auch nicht so schnell ansteigt. Die wachsende Ungleichheit der Markteinkommen ist das Ergebnis der Niedriglohnkonkurrenz aus den ex-kommunistischen Gebieten der Welt. Auf die Gefahren für die soziale Kohärenz der Gesellschaft und die nötigen Reformen des Sozialstaates weise ich seit anderthalb Jahrzehnten hin. Dennoch finde ich die Alarmrufe, die derzeit aus den Medien zu hören sind, unangebracht und übertrieben. Die öffentliche Diskussion leidet unter einer Begriffsverwirrung, negiert die Existenz des deutschen Sozialstaates, bezieht sich auf veraltete Zahlen und wird durch ein statistisches Artefakt in die Irre geführt.”
Es ist wirklich einmalig, wie es HansMinusWerner Sinn immer wieder gelingt, seinen gequirlten Schwachsinn in hehre Worte zu fassen und ihm einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.
Genauso werthaltig sind seine weiteren Ausführungen zur Armut in Deutschland, denn laut dem Unsinn des HansMinusWerner Sinn liegt “der durchschnittliche monatliche Hartz-IV-Anspruch eines Einpersonenhaushalts bei 700 Euro, wobei die freie Krankenversicherung im Wert von 200 Euro noch nicht eingerechnet ist. Die Armutsgrenze lag bei 520 Euro.”
Auch hier wird vom HansMinusWerner wieder getrickst und getäuscht, dass sich die Balken biegen, denn die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen weisen schon für das Jahr 2002 eine Armutsgrenze von etwa 730 € für die alten Bundesländer und 605 € für die neuen Bundesländer aus.
Und ganz besonders lustig ist die “freie Krankenversicherung im Wert von 200 Euro monatlich“, denn tatsächlich zahlt die Bundesagentur pro ALGII-Empfänger nur 120 Euro an die GKV, was letztendlich bedeutet dass die Krankenversicherung für jeden ALGII von den beitragzahlenden Arbeitnehmern mit 80 Euro pro Monat bezuschusst wird. Nur dadurch wird es möglich, dass die Bundesagentur für Arbeit die so von ihr “erwirtschafteten Überschüsse” an die Staatskasse abführen kann, denn 3 Mio. Arbeitslose mal 80 Euro mal 12 Monate macht nun mal satte 2,88 Mrd. Euro im Jahr, die einfach so aus den Taschen der Beitragszahler abgezwickt werden.
Doch wenden wir uns wieder dem Wahrheitsgehalt der Bergpredigt von HansMinusWerner Sinn zu, der mit zunehmender Dauer seines Vortrags zu neuen Höhen aufläuft, denn
- weil wir einen Sozialstaat haben, signalisiert es auch nicht Armut, wenn der Anteil der Geringverdiener mit einem Stundenlohn von weniger als zwei Drittel des Mittelwertes bald so hoch ist wie in den USA, denn Lohn und Einkommen sind nicht dasselbe.
- dass die Bruttolohnspreizung in beiden Ländern ähnlich hoch ist, erklärt sich durch das Gesetz des Faktorpreisausgleichs, das man nur um den Preis einer Massenarbeitslosigkeit unterlaufen kann.
- in Ländern, die miteinander Handel treiben und zwischen denen Kapital frei fließen kann, müssen sich die Lohnstrukturen bezüglich der Qualifikationsstufen tendenziell angleichen, sodass Unterschiede nur noch aus der unterschiedlichen Streuung der Bildung resultieren.
Lassen wir mal die Erkenntnisse des Herrn Sinn und die anhaltende Debatte um den Mindestlohn und Langzeitarbeitslosigkeit an uns abtropfen und wenden wir uns statt dessen der Angleichung der Lohnstrukturen in Ländern zu, die miteinander Handel treiben. Denn darauf, dass das Absinken des Lohnniveaus in Deutschland etwas mit dem steigenden Bildungsniveau in China zu tun hat, darauf muss man erst mal kommen, denn sicher habe nicht nur ich gedacht, dass dies eher etwas mit dem globalisierten Gierfaktor der Unternehmen zu hat.
Aber so kann man sich halt täuschen!
Wie gut ist es da, wenn ein so schrecklich gelehrter Prediger wie der HansMinusWerner Sinn seine Gedanken in Worte fasst, den fassungslosen Zuhörern das Wort zum Sonntag erzählt und erklärt wie es kommt, dass “der Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung (Grenze: 150 bis 70 Prozent vom Median) von 2002 bis 2005 um fast vier Prozentpunkte abgenommen hat und nach den Daten des sozioökonomischen Panels der Anteil der Armutsgefährdeten um zwei Punkte stieg“.
Sie werden es nicht glauben, aber es ist ein statistischer Sondereffekt, “der unmittelbar nach den Hartz-Reformen im Berichtsjahr 2005 zum Tragen kam. Durch Hartz IV wurden etwa zwei Millionen Deutsche von der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe heruntergestuft, was das Armutsrisiko zunächst in der Tat vergrößerte. Inzwischen hat Hartz IV aber gewirkt. Allein in Westdeutschland hat der jüngste Konjunkturaufschwung mindestens 1,1 Millionen Stellen über das Maß hinaus gebracht, das man nach einer Fortschreibung früherer Konjunkturmuster erwarten konnte. Der Arbeitsplatzgewinn hat – zusammen mit Lohnzuschüssen für Niedrigverdiener – erheblich zum Rückgang der Armutsgefährdung und zur Stabilisierung der Mittelschicht beigetragen – nur sieht man das nicht in der Statistik des Jahres 2005.”
Außerdem, so HansMinusWerner Sinn, würde sich die im Armutsbericht der Bundesregierung dargestellte Entwicklung nicht auf das Pro-Kopf-Einkommen, sondern auf das “bedarfsgewichtete Einkommen” beziehen und “dabei wird unterstellt, dass zwei Singles zusammen ein Drittel mehr Einkommen brauchen als ein Paar. Das ist nicht unplausibel, impliziert aber, dass die zitierten Verteilungsmaße eher die Ausweitung gesellschaftlicher Wunschvorstellungen als ökonomisch bedingte Versorgungsdefizite widerspiegeln.”
Daraus folgt für die Gedankenwelt des HansMinusWerner Sinn, dass der Grund allen Übels die Einpersonenhaushalte sind, denn “wohnen beide Partner zusammen, gehören sie zur Mittelschicht und gelten nicht als armutsgefährdet. Deklarieren sie getrennte Haushalte, um mehr Geld vom Staat zu bekommen, zählt der arbeitslose Partner plötzlich als armutsgefährdet. Es ist offenkundig, dass die Bedarfsgewichtung bei der Berechnung der Verteilungsmaße zu keinen sinnvoll interpretierbaren Ergebnissen führt, wenn die Familie erodiert und der Staat diese Erosion finanziell fördert. Verhaltensänderungen, für die Menschen sich entscheiden, um ihre ökonomische Situation zu verbessern, werden als Verschlechterung der Lebenslage in den Statistiken erfasst und führen zu Alarmrufen der Politik. Dazu kann ich nur sagen: bedarfsgewichteter Käse, mehr nicht.”
Da hat er allerdings mal ausnahmsweise Recht, der HansMinusWerner Sinn, der Spezialist für „bedarfsgewichteten Käse“ vom Ifo-Institut in München!
Jetzt muss man ihm nur noch verklickern, dass der offensichtlich steigendenden Armutsgefährdung allein lebender Personen durch zwangsweise Kasernierung und/oder Barackenunterbringung in Arbeitslagern erfolgreich entgegengewirkt werden könnte
Und wenn man sich über dem Eingangstor dann noch eine schöne Überschrift wie “Arbeit macht (zwar arm aber) frei” vorstellt, dann wirkt das Ganze schon fast wie eine sozialstaatliche Vorsorgemaßnahme, die man dem tumben Volk unter dem Arbeitstitel “Hartz V” verkaufen könnte.
Mir persönlich hat allerdings in dem “bedarfsgewichteten Käse” der Satz “die öffentliche Diskussion leidet unter einer Begriffsverwirrung, negiert die Existenz des deutschen Sozialstaates, bezieht sich auf veraltete Zahlen und wird durch ein statistisches Artefakt in die Irre geführt” ganz besonders angetan, sind doch darin die wichtigsten Elemente der von HansMinusWerner Sinn seit Jahren betriebenen pseudowissenschaftlichen Täuschung der Öffentlichkeit zusammengefasst:
a-tens: Ihr seid alle ziemlich dämlich und
b-tens: es geht es euch noch nicht dreckig genug und
c-tens: ihr habt keine Ahnung was hier wirklich läuft und
d-tens: kann man euch mit jeder zusammengetricksten Statistik ein X für ein U vormachen
Ich bin nicht etwa der Einzige, der dem HansMinusWerner Sinn und seinem Institut für Wirtschaftsforschung geistige Bedürftigkeit gepaart mit Auftragspopulismus vorwirft, denn schon 2006 haben 15 deutsche Ökonomen deutliche Kritik an der Forschungsqualität des Ifo-Instituts geäußert und bezweifelt, “ob alle politischen Ratschläge des Ifo-Instituts auf ausreichend rigoroser, empirischer Forschung basieren“.
Die eklatanten Schwächen seien nicht zu übersehen, kritisieren damals die Juroren, deren Votum für die weitere Finanzierung des IFO-Instituts durch Bund und Länder entscheidend ist.
Übrigens wurde Pater Brown wegen seiner Vorliebe fürs Kriminelle von seinem Bischof auf eine einsame Insel versetzt.
Für den von HansMinusWerner Sinn verzapften “bedarfsgewichteten Käse”, den dann zu allem Überfluss auch noch die Wirtschaftswoche abdruckt, wäre das jedoch schon fast ein Gnadenakt.
Statt dessen sollten wir den HansMinusWerner Sinn, wie es sich für einen richtigen Propheten gehört, einfach in die Wüste schicken und das am besten ohne Kompass.
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